Multifaktorproduktivität setzt den Output nicht in Relation zu einem einzelnen Produktionsfaktor, sondern zum kombinierten Einsatz der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital. Ihre langfristige Entwicklung wird häufig als Maß für den technologischen Fortschritt interpretiert. Erfasst wird jedoch auch der Einfluss von Faktoren wie dem Humankapital, der Kapazitätsauslastung und organisatorischen Aspekten auf den Output.
Um den kombinierten Faktoreinsatz zu bestimmen, müssen zusätzliche Annahmen getroffen werden. Zentral ist das Konzept einer Produktionsfunktion, die den Zusammenhang zwischen dem Output und den Produktionsfaktoren beschreibt. Im Folgenden wird eine Cobb-Douglas-Produktionsfunktion betrachtet. Der Output Y, gemessen durch die Bruttowertschöpfung, ergibt sich als multiplikative Funktion des Arbeitseinsatzes L, des Kapitaleinsatzes K sowie der Multifaktorproduktivität A.
Die Koeffizienten α und 1-α bezeichnen die Produktionselastizitäten der Faktoren Arbeit und Kapital. Das bedeutet, dass die Bruttowertschöpfung um α% ansteigt, wenn der Arbeitseinsatz um 1% erhöht wird, während der Kapitaleinsatz konstant bleibt. Die Annahme, dass die Produktionselastizitäten von Arbeit und Kapital sich zu eins addieren, impliziert konstante Skalenerträge. Dies bedeutet, dass sich der Output verdoppelt, wenn alle Inputs verdoppelt werden.
Anders als die Arbeitsproduktivität, deren absolute Größe eine recht verständliche Maßeinheit hat, eignet sich das Niveau der Multifaktorproduktivität nicht für eine Interpretation. Relevant ist vielmehr deren Veränderung. Daher wird die Wachstumsrate der Multifaktorproduktivität direkt berechnet als:
Die Wachstumsrate der Multifaktorproduktivität ergibt sich als Residuum, also den Teil des Output-Wachstums, der nicht durch das Wachstum des Arbeitseinsatzes und das des Kapitaleinsatzes erklärt werden kann (siehe Beispielgrafik). Diese Vorgehensweise, die sogenannte Wachstumszerlegung (englisch: growth accounting), geht zurück auf Arbeiten von Jan Tinbergen (Tinbergen, 1942) und Robert Solow (Solow, 1957).
Weiterhin wird angenommen, dass Unternehmen kostenminimierend und profitmaximierend auf kompetitiven Güter- und Arbeitsmärkten agieren. Obwohl diese Bedingungen in der Praxis nicht zwangsläufig erfüllt sind, bieten sie eine vernünftige Annäherung für viele Märkte. Kritisch sind die Annahmen in Wirtschaftsbereichen, in denen der Anteil der Sektoren Staat und Private Organisationen ohne Erwerbszweck an der Produktion besonders hoch ist.
Werden die genannten Annahmen als erfüllt angesehen, erfolgt die Entlohnung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit mit ihrem jeweiligen Grenzprodukt. Dieses bezeichnet den Zuwachs der Produktion, der durch den Einsatz einer weiteren Einheit des Produktionsfaktors erzielt wird. Als Folge dessen lässt sich die Produktionselastizität des Faktors Arbeit als Anteil des Arbeitseinkommens an der Bruttowertschöpfung, abzüglich sonstiger Nettoproduktionsabgaben, messen. Da allerdings auch Selbständige Arbeitseinkommen beziehen, muss das in den VGR ausgewiesene Arbeitnehmerentgelt angepasst werden. Dazu wird die – in der Literatur übliche – Annahme getroffen, dass Selbständige die gleiche durchschnittliche Entlohnung wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im selben Wirtschaftsbereich erhalten (OECD, 2001). Der Einkommensanteil des Faktors Arbeit ergibt sich dann wie folgt:
Der Output Y wird gemessen durch die Bruttowertschöpfung, also dem Saldo aus Produktionswert und Vorleistungen. Der Arbeitseinsatz L wird gemessen durch die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden der Erwerbstätigen, die im Rahmen der Arbeitszeitrechnung vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) berechnet werden. Hierbei wird implizit die Annahme getroffen, dass jede Stunde Arbeit den gleichen Beitrag zur Produktion liefert, unabhängig vom Qualifikationsniveau.
Der Kapitaleinsatz K wird über die von Unternehmen bezogenen Kapitaldienstleistungen (englisch: capital services) gemessen. Deren Wert und Volumen können jedoch in der Regel nicht direkt beobachtet werden, da Nutzer und Besitzer der Assets häufig identisch sind. Es gibt also keine Zahlungsströme, die erfasst werden könnten. Daher müssen die Kapitaldienstleistungen geschätzt werden. Dies erfolgt über den Ansatz der Nutzungskosten des Kapitals (Jorgenson, 1963). Verschiedene Vermögensarten werden aggregiert zum gesamten Kapitaleinsatz, indem sie mit dem jeweiligen Anteil ihrer Nutzungskosten an den Gesamtnutzungskosten gewichtet werden. Dazu werden für jede Vermögensart in jedem Wirtschaftsbereich die Nutzungskosten u wie folgt geschätzt:
Hierbei sind die Nutzungskosten u die Kosten, die für die Nutzung der Vermögensart j im Wirtschaftsbereich i pro Periode anfallen. q ist der Marktwert des Nettoanlagevermögens der Vermögensart j im Wirtschaftsbereich i, d ist die Abschreibungsrate der Vermögensart j und r ist ein Maß für die Finanzierungskosten im Wirtschaftsbereich i.
Die Nutzungskosten setzen sich also zusammen aus den Finanzierungskosten – falls die Assets fremdfinanziert sind – oder den Opportunitätskosten, die entstehen, weil Kapital nicht anderweitig eingesetzt werden kann, dem durch Abschreibungen gemessenen Wertverlust und Kapitalgewinnen oder -verlusten, die sich durch Preisänderungen der Assets ergeben. Die Nutzungskosten werden berechnet für die sieben Vermögensarten Wohnbauten, Nichtwohnbauten, Ausrüstungen und Waffensysteme, Fahrzeuge, Nutztiere und Nutzpflanzungen, Forschung und Entwicklung sowie Software und Datenbanken.
Die Abschreibungsrate ergibt sich aus den VGR-Veröffentlichungen der Abschreibungen und des Nettoanlagevermögens. Da die Abschreibungen für die genannten Vermögensarten nur für die Gesamtwirtschaft veröffentlicht werden, wird vereinfachend angenommen, dass die Abschreibungsraten der verschiedenen Vermögensarten über die Wirtschaftsbereiche identisch sind. Kapitalgewinne und -verluste ergeben sich aus Preisänderungen der jeweiligen Klasse und dem Volumen des Nettoanlagevermögen.
Die Zinsrate wird endogen aus VGR-Daten berechnet. Dazu wird angenommen, dass sich die gesamte Bruttowertschöpfung aufteilt in Arbeits- und Kapitaleinkommen. Das Kapitaleinkommen entspricht dem gesamten Wert der Kapitaldienstleistungen und lässt sich bestimmen aus der Differenz der Bruttowertschöpfung (abzüglich sonstiger Nettoproduktionsabgaben) und dem angepassten Arbeitseinkommen (siehe oben). Mit Hilfe der Abschreibungsrate d, den Kapitalgewinnen oder -verlusten π, und dem Nettoanlagevermögen KN lässt sich die Zinsrate r im Wirtschaftsbereich i dann residual bestimmen als:
Nachdem Zinsrate, Abschreibungsrate sowie Kapitalgewinne und -verluste bestimmt sind, können die Kapitalnutzungskosten der einzelnen Vermögensarten berechnet werden. Die Wachstumsrate der gesamten bezogenen Kapitaldienstleistungen KD im Wirtschaftsbereich i ergibt sich als Törnqvist-Index der mit ihrem Anteil an den gesamten Kapitalnutzungskosten gewichteten realen Wachstumsraten des Nettoanlagevermögens der Vermögensarten:
Hintergründe zur Produktivitätsmessung, alternativen Berechnungsansätze für den Kapitaleinsatz und den Vergleich der Ergebnisse mit anderen Berechnungen finden Sie in diesem WISTA-Beitrag. Die Ergebnisse zur Multifaktorproduktivität finden Sie in unserem Statistischen Bericht.
Quellen:
Jorgenson, D. (1963). Capital Theory and Investment Behaviour. American Economic Review (Vol. 53), S. 247-259.
OECD. (2001). Measuring Productivity - Measurement of aggregate and industry-level productivity growth - OECD Manual.
Solow, R. (1957). Technical Change and the Aggregate Production Function. Review of Economics and Statistics, S. 312-320.
Tinbergen, J. (1942). Zur Theorie der langfristigen Wirtschaftsentwicklung. Weltwirtschaftliches Archiv.