Industrie, Verarbeitendes Gewerbe Zusammenhang zwischen Materialknappheit und Industrieaktivität

ifo Knappheitsindikator zeigt Materialmangel an

Materialknappheit kann die Entwicklung der Industrieproduktion in Deutschland beeinträchtigen. In einer Befragung des ifo Instituts geben monatlich einbezogene Industrieunternehmen an, ob sie von Produktionsbehinderungen durch knappe Rohstoffe und Vormaterialien betroffen sind. Das ifo Institut veröffentlicht auf Basis dieser regelmäßigen Befragung einen Knappheitsindikator, der in Grafik (1) dargestellt ist. Der Indikator zeigt, wieviel Prozent der Unternehmen die Frage nach Produktionsbehinderungen durch Knappheit bei Rohstoffen beziehungsweise Vorprodukten mit Ja beantworten. Die Befragung zur Knappheit von Rohstoffen und Vorprodukten wird normalerweise vierteljährlich, derzeit jedoch monatlich, durchgeführt. Die vom ifo Institut verwendete Bezeichnung des Knappheitsindikators ist "ifo Index für die Knappheit von Vorprodukten im Verarbeitenden Gewerbe".

Grafik (1)

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In der Grafik (2) sind die aktuellen Ergebnisse nach Industriezweigen gegliedert angegeben.

Grafik (2)

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Nicht alle Aufträge können abgearbeitet werden

Bei Materialknappheit kann es vorkommen, dass die Industriebetriebe trotz guter Auftragslage nicht alle eingegangenen Aufträge abarbeiten können. In der Grafik (3) ist die Entwicklung der Aufträge und der Industrieproduktion in Deutschland dargestellt. Seit Mitte des Jahres 2020 hat sich der Auftragseingangsindex deutlich stärker entwickelt als der Produktionsindex. Betrachtet man den Auftragseingangsindex als Indikator für die Nachfrageentwicklung und den Produktionsindex als Maß für die Entwicklung des Angebots, so ist bei Industriegütern seit Mitte 2020 die Nachfrage insgesamt stärker angestiegen als das Angebot.

Grafik (3)

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In der Grafik (3) ist auch der Auftragsbestandsindex dargestellt. Der Auftragsbestand umfasst die Summe der Auftragseingänge am Ende des Berichtsmonats, die bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu Umsätzen geführt haben und die nicht storniert wurden. Die im Vergleich zur Produktionsentwicklung stärkere Entwicklung der Auftragseingänge hat dazu geführt, dass im Verarbeitenden Gewerbe die Auftragsbestände stark angewachsen sind. 

Corona-Krise führte zu Schwierigkeiten bei den Lieferketten

Die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie haben sich weltweit auf das Angebot von und die Nachfrage nach Industriegütern ausgewirkt.1 In der ersten Phase der Pandemie führte eine große Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung dazu, dass Betriebe ihre Produktionspläne anpassten und über viele Branchen hinweg die Produktions- und Transportkapazitäten heruntergefahren wurden.2 Der in den nachfolgenden Monaten einsetzende synchrone Konjunkturaufschwung in vielen Weltregionen erzeugte eine starke Nachfrage nach Industrieprodukten. Gleichzeitig hatten die Einschränkungen des öffentlichen Lebens eine Verschiebung der privaten Konsumstruktur von Dienstleistungen (zum Beispiel Reisedienstleistungen, Gastronomie) zu langlebigen Konsumgütern wie Elektronikgeräten oder Möbeln bewirkt.3 Durch die pandemiebedingten Einschränkungen waren jedoch die internationalen Lieferketten beeinträchtigt. Bei einigen Produkten nahm der Aufbau oder Wiederaufbau von Produktionskapazitäten viele Monate in Anspruch und die vorhandenen Produktionskapazitäten wurden wiederholt durch pandemiebedingte Produktionsstopps in einzelnen Regionen gestört. Die plötzliche und teilweise unerwartete Nachfrage nach der ersten Pandemiephase konnte durch die Industrie nicht voll bedient werden. Der Wettbewerb der Betriebe um Rohstoffe, Vorprodukte und Transportdienstleistungen ließ die Produktionskosten stark ansteigen, hinzu kamen erhebliche Anstiege der Energiepreise. Die Schwierigkeiten bei den Lieferketten bremsten die Entwicklung der Industriekonjunktur in Deutschland im gesamten Verlauf des Jahres 2021 trotz anhaltend starker Nachfrage.4 Der Materialmangel hat sich nach einer kurzen Erholungsphase zu Beginn des Jahres 2022 mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wieder verschärft.5

Materialknappheit ist kein neues Phänomen

Materialmangel ist in der Industrie ein wiederkehrendes Phänomen. Allerdings war der Mangel bisher bei weitem nicht so ausgeprägt wie im von der Corona-Krise beeinflussten Jahr 2021 und Anfang 2022. Für eine rückblickende Betrachtung der Konjunkturentwicklung seit Beginn der 1990er-Jahre ist in Grafik (4) neben dem bereits vorgestellten ifo Knappheitsindikator auch die Entwicklung des Produktions- und des Auftragseingangsindex des Statistischen Bundesamtes abgebildet. Die dargestellte zyklische Entwicklung verdeutlicht den konjunkturellen Verlauf in der Vergangenheit.6

Grafik (4)

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Die rückblickende Betrachtung zeigt, dass konjunkturelle Aufschwungphasen regelmäßig mit wachsender Materialknappheit einhergehen. Da die Industrieproduktion über mehrere Stufen hinweg stattfindet, führt eine steigende Nachfrage nach Endprodukten (zum Beispiel nach Pkw) zu Produktionsausweitungen, die ihrerseits die Nachfrage nach Vorprodukten (zum Beispiel nach elektrischen Bauelementen oder Stahlprodukten) erhöhen. Diese Dynamik entlang der Lieferketten kann zu Materialknappheit führen, bei der es für die Industrie schwierig wird, eine gute Auftragslage in Produktion umzusetzen.

In der Regel erzeugen dann anziehende Vorproduktpreise Anreize für Vorleistungshersteller, das Angebot auszuweiten. Nachfrageseitig steigen für Hersteller von Endprodukten bei anziehenden Materialpreisen die Produktionskosten, die sie nicht immer an ihre Kunden weitergeben können. Ist eine Rentabilitätsgrenze erreicht, kann die Nachfrage nach Vorprodukten letztlich auch sinken. Angebot und Nachfrage gleichen sich mittelfristig aus. Zwischenzeitlich kann jedoch eine "Schere" zwischen der Auftragseingangsentwicklung und der Produktionsentwicklung entstehen, bei der die Auftragseingänge stärker wachsen als die Produktion.

Materialknappheit wird international weitergegeben

Die deutsche Industrie ist international eng verflochten. Einerseits exportiert Deutschland häufig Industrieprodukte, andererseits ist die industrielle Fertigung in Deutschland auf Importe angewiesen. Wertmäßig kommen 38 % der Waren, die deutsche Industriebetriebe in der Produktion als Vorleistungsgüter weiterverwenden, aus dem Ausland.7 Diese Verflechtung führt dazu, dass Materialknappheit auch international weitergegeben wird. Grafik (5) zeigt die zyklische Entwicklung des Einfuhr- und Ausfuhrvolumens für Vorleistungsgüter sowie die zyklische Entwicklung der Produktion von Vorleistungsgütern in Deutschland.

Grafik (5)

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Aus der internationalen Verflechtung der Güterproduktion ergibt sich ein relativ synchroner Verlauf zwischen der heimischen Produktion, dem Import und dem Export von Vorleistungsgütern. Die wichtigsten Außenhandelspartner Deutschlands beim Handel mit Vorleistungsgütern sind in Tabelle (1) angegeben.

Tabelle (1) Außenhandel mit Vorleistungsgütern 2019
Wertanteile in %
LandEinfuhr LandAusfuhr
Volksrepublik China10,1Frankreich8,0
Niederlande6,9Vereinigte Staaten6,8
Belgien6,4Niederlande6,7
Frankreich5,9Volksrepublik China6,4
Italien5,9Polen6,0
Vereinigte Staaten5,3Italien5,7
Polen5,2Vereinigtes Königreich5,2

Aus der Volksrepublik China werden zum Beispiel häufig elektronische Bauteile wie Halbleiterbauelemente und elektronische integrierte Schaltungen importiert. Beim Import von Vorleistungen aus den Niederlanden und aus Belgien handelt es sich etwa um Kunststoffe, Metalle oder chemische Erzeugnisse.

Materialmangel zeigt sich am Anstieg der Erzeuger- und Einfuhrpreise

Ein weiterer Indikator für knappe Vorprodukte ist die Preisentwicklung auf den vorgelagerten Produktionsstufen. Grafik (6) zeigt neben dem ifo Knappheitsindikator für das Verarbeitende Gewerbe auch die zyklische Entwicklung der Erzeuger- und Einfuhrpreisindizes für Vorleistungsgüter. Auch hier zeigt sich ein enger Zusammenhang mit der Knappheit von Rohstoffen und Vormaterialien im Produktionsprozess. Die Phasen verstärkter Materialknappheit gehen in der Regel mit einem zyklischen Anstieg sowohl der Erzeuger- als auch der Einfuhrpreise für Vorleistungsgüter einher. Energieträger wie Erdöl oder Erdgas werden hier nicht zu den Vorleistungsgütern gezählt, deren Preis-entwicklung beeinflusst jedoch indirekt die in der Grafik (6) dargestellte zyklische Entwicklung der Vorleistungspreise.

Grafik (6)

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Fazit

Die langfristige Entwicklung des ifo Knappheitsindikators zeigt, dass Materialmangel in der Industrie ein wiederkehrendes Phänomen ist. Allerdings war sie bisher bei weitem nicht so ausgeprägt wie im von der Corona-Krise beeinflussten Jahr 2021 und Anfang 2022. Die Materialknappheit führt dazu, dass trotz guter Auftragslage in der Industrie nicht alle Aufträge abgearbeitet werden können. Durch die im Vergleich zur Produktionsentwicklung stärkere Entwicklung der Auftragseingänge sind die Auftragsbestände stark angewachsen. Der Materialmangel hat sich nach einer kurzen Erholungsphase zu Beginn des Jahres 2022 mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine Ende Februar 2022 wieder verschärft. Er führt dazu, dass die Industrie die nachfragebedingten Potenziale der wirtschaftlichen Dynamik nicht ausschöpfen kann.
Aufschwungphasen waren in der Vergangenheit regelmäßig mit wachsender Materialknappheit verbunden, wie ein Vergleich mit der zyklischen Entwicklung von zentralen industriellen Konjunkturindizes des Statistischen Bundesamtes zeigt. Für die Industrie kann es dann schwierig sein, eine gute Auftragslage in Produktion umzusetzen: die Auftragseingänge wachsen stärker als die Produktion. Die internationale Verflechtung der Güterproduktion führt dazu, dass Materialknappheit auch international weitergegeben wird. Weiterhin gehen Phasen verstärkten Materialmangels in der Regel mit einem zyklischen Anstieg der Erzeuger- und der Einfuhrpreise für Vorleistungsgüter einher.

Fußnoten:

1: Vergleiche zum Beispiel: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: "Transformation gestalten: Bildung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit". Jahresgutachten 21/22, Wiesbaden 2021, Seite 20 f.
2: In Deutschland waren im Jahr 2020 die Investitionen deutlich gegenüber dem Vorjahr gesunken, insbesondere in den Bereichen Metallerzeugung und -bearbeitung und Herstellung von Metallerzeugnissen sowie bei der Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen. Vergleiche Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 523 vom 16. November 2021: "Investitionen der Industrie 2020: 14 % weniger als im Vorjahr".
3: Vergleiche Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 122 vom 15. März 2021: "Konsumausgaben der privaten Haushalte 2020 deutlich zurückgegangen" sowie Pressemitteilung Nr. 531 vom 22. November 2021: "Konsumausgaben privater Haushalte 2020 um knapp 3 % gesunken".
4: Zu den Auswirkungen der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie auf die Lieferketten der Industriebetriebe in Deutschland siehe auch Stefan Linz, Malte David Neumann, Salima Abdalla, Gerda Gladis-Dörr: "Auswirkungen der Corona-Pandemie: Lieferengpässe bremsen Industrie und treiben Preise". In: WISTA Wirtschaft und Statistik. Ausgabe 1/2022, Seite 71 bis 83.
5: ifo Institut (2022), Pressemitteilung vom 1.4.22: "Materialmangel verschärft sich nach dem Angriff auf die Ukraine".
6: Die zyklische Entwicklung wird als Abweichung des mittel- bis kurzfristigen Trends vom langfristigen Trend der jeweiligen Statistik berechnet. Für eine rückblickende Betrachtung der Konjunktur ist die zyklische Entwicklung gut geeignet. Zur Einschätzung der aktuellen Entwicklung sind sie jedoch weniger geeignet und daher ab Anfang 2020 gestrichelt dargestellt. Für die Betrachtung der aktuellen Entwicklung sollte die Grafik (3) herangezogen werden.
7: Die Berechnung wurde mithilfe der Input-Output Tabellen (2018) durchgeführt.