Hauptstadtkommunikation Die Zukunft gestalten, um die Relevanz der amtlichen Statistik auch künftig zu sichern

Im Interview spricht Dr. Daniel Vorgrimler, Leiter der Abteilung Strategie und Planung, Internationale Beziehungen, Forschung und Kommunikation im Statistischen Bundesamt, über Datenoasen, strategische Ziele, den Austausch mit der Wissenschaft und neue Kommunikationsformate.

Herr Dr. Vorgrimler, Ihre Abteilung ist für Strategie, Forschung und Kommunikation zuständig. Wenn wir zunächst auf die Strategie blicken – was sind die wichtigsten strategischen Ziele unseres Amtes für die nächsten Jahre?

Dr. Vorgrimler: Die Krisen der letzten Jahre haben die zentrale Bedeutung von aktuellen Daten in unserer Gesellschaft unterstrichen. Gleichzeitig ist der Zugang zu und die Verarbeitung von Daten zumindest auf den ersten Blick leichter geworden. Während früher die Datenverarbeitung und die Berechnung von Regressionen eher Fachleuten vorbehalten war, sind solche Analysen inzwischen mit den richtigen Softwarepaketen und ein bisschen Erfahrung für viele machbar. Als Ökonom könnte man sagen: die Markteintrittsschranken sind niedriger als früher. Damit verschärft sich auch die Wettbewerbssituation für uns. Wir müssen uns als Amt fragen, wie wir der wichtigste und relevanteste Anbieter für Daten bleiben. Das heißt, wir müssen unser Informationsangebot optimieren. Die Gesellschaft soll das Statistische Bundesamt weiter als Anlaufstelle für relevante Daten wahrnehmen. Dafür muss der Zugang zu unseren Daten niedrigschwellig und intuitiv sein. Wir können uns nicht nur an Menschen mit hoher Statistikkompetenz richten. Hier müssen wir unser Profil gegenüber aktuellen und zukünftigen Wettbewerbern weiter schärfen.

Wenn wir 10 Jahre in die Zukunft blicken, welche Rolle sehen Sie für Destatis in Sachen Datenmanagement?

Dr. Vorgrimler: Ich selbst kann mit dem in der Presse oft postulierten Begriff der "Datenwüste Deutschland" wenig anfangen. Treffender ist die Bezeichnung "Datenoasen". In Deutschland fallen an vielen Stellen große Datenmengen an. Zugleich fehlen eine Übersicht und eine Verknüpfung all dieser Daten. Und natürlich gibt es auch Lücken. Es ist also weniger ein Wüstenproblem, als vielmehr ein Problem fehlender Verbindungen zwischen Datenoasen. Und genau in diesem Feld sehe ich die Chancen und die Stärken des Statistischen Bundesamtes. Aufgrund unserer Erfahrung im Datenmanagement können wir die Oasen zusammenführen und so einen Mehrwert für die amtliche Statistik und die Gesellschaft schaffen. Ein positives Beispiel ist durch ein Projekt zur Evaluierung der Corona-Hilfen entstanden. Die hierfür notwendigen Daten fallen an unterschiedlichen Stellen in unterschiedlichen Behörden an. Die zur Evaluierung notwendige Zusammenführung war lange Zeit nicht möglich. Eine Rechtsänderung ermöglicht uns nun, diese Daten zu verknüpfen und zur Evaluation bereitzustellen. Die entsprechende Rechtsänderung ist nicht nur auf diesen spezifischen Fall beschränkt. In Zukunft können Förderprogramme der Bundesregierung mit Hilfe dieser rechtlichen Anpassung grundsätzlich evaluiert werden. Die "Datenoasen" können so auf sinnvolle Art verbunden werden.

Im Bereich Forschung ist in den letzten Jahren viel passiert. So hat beispielsweise Destatis viele experimentelle Indikatoren entwickelt und veröffentlicht. Was ist aus Ihrer Sicht wichtig, damit Destatis kurzfristiger und flexibler auf neue Datenbedarfe reagieren kann?

Dr. Vorgrimler: Letztlich muss dies ganzheitlich betrachtet werden. Das fängt bei Rechtsgrundlagen an, die uns ein schnelleres Handeln erlauben, geht über neue Wege bei der Datenerhebung und umfasst auch unsere Veröffentlichungsformate. Bei den Rechtsgrundlagen sehe ich international wie national interessante Entwicklungen – Stichwort Europaen Data Act. Die Rechtsgrundlagen müssen so weiterentwickelt werden, dass die amtliche Statistik auf europäischer Ebene und in Deutschland weiter ihre Rolle als wichtigster Lieferant von unabhängigen Daten erfüllen können. Unterstützung bei der benötigten Novellierung von Rechtsgrundlagen erhalten wir von vielen Seiten. Besonders hervorzuheben ist die Kommission Zukunft Statistik unter der Leitung von Walter Radermacher, die Empfehlungen erarbeitet, wie die amtliche Statistik der Zukunft aussehen kann. Es reicht aber nicht aus, unsere rechtlichen Grundlagen zu modernisieren. Wir müssen auch in der Lage sein, die gegebenen Möglichkeiten optimal zu nutzen. Konkret: Wir müssen unsere Produktionsprozesse so gestalten, dass wir mit den gegebenen Mitteln in der Lage sind, kurzfristige Datenbedarfe schnell zu decken. Das gleiche gilt für unsere Veröffentlichungsprozesse. Das alles funktioniert aber nur gemeinsam mit unseren wichtigsten Partnern, den Statistischen Landesämtern. Eine Schlüsselrolle spielen hierbei für mich die Standardisierungsprojekte innerhalb des Statistischen Bundesamtes und innerhalb des Verbundes.

Sie selbst sind auch in der Lehre tätig. Wie wichtig ist der Austausch mit der Wissenschaft für die amtliche Statistik?

Dr. Vorgrimler: Vom Austausch zwischen der Wissenschaft und der amtlichen Statistik profitieren beide Seiten. Die Wissenschaft gibt uns Impulse, unsere Methoden der Datenerhebung und -analyse weiter fortzuentwickeln. So erfolgte die Entwicklung der Stichprobenmethodik für die Strukturstatistik im Handels- und Dienstleistungsbereich beispielsweise im Rahmen eines Kooperationsprojekts zwischen dem Statistischen Bundesamt und der Universität Trier. Ziel für die amtliche Statistik muss es sein, die eigene Datenerhebung immer am aktuellen Rand der Wissenschaft auszurichten, wir nennen das State-of-the-Art Statistik. Umgekehrt bin ich davon überzeugt, dass wir durch Kooperation mit Hochschulen und Forschungsinstituten den Wissenschaftsstandort Deutschland stärken und eine datenbasierte Spitzenforschung in Deutschland ermöglichen. Nicht zu vergessen ist der personelle Austausch. Wir wollen eine wissenschaftliche Behörde sein. Deshalb gilt es auch wissenschaftlich ausgebildetes Personal für eine Tätigkeit in der amtlichen Statistik zu begeistern. Das erreicht man am besten im direkten Austausch.

In den letzten Jahren hat sich die Kommunikation des Amtes grundlegend verändert – statt Printbroschüren und Jahrbuch setzt das Amt nun vor allem auf digitale Formate und Social Media. Wo sehen Sie im Bereich Kommunikation noch Entwicklungspotenzial?

Dr. Vorgrimler: Um den veränderten Informationsbedürfnissen in unserer Gesellschaft Rechnung zu tragen, haben wir unsere Veröffentlichungsformate auf reine Digitalangebote umgestellt und unsere Präsenz auf Social Media ausgebaut. In der sehr dynamischen Welt der sozialen Medien sind wir ständig dabei, neue Entwicklungen und Trends zu beobachten, unsere Angebote anzupassen und weiterzuentwickeln. In den letzten Jahren stellen wir zum Beispiel verstärkt Desinformationen auf Basis unserer Statistiken fest und treten dem durch klare und verständliche Einordnungen unserer Zahlen entgegen. Wir vermitteln aber auch Datenkompetenz und gestalten den Zugang zu unseren Statistiken möglichst einfach und niedrigschwellig. Datenkompetenz ist die beste Waffe gegen Desinformation und durch einen einfachen Zugang ist jede und jeder schnell selbst in der Lage, Fakten zu prüfen. Ich gehe davon aus, dass die Gefahr durch Fake News etwa auch durch neue Möglichkeiten wie ChatGPT weiter zunehmen wird und dem wir müssen entgegenwirken. Dazu werden wir auch neue Wege gehen müssen, um zum Beispiel auch bildungsfernere Menschen besser zu erreichen. Hier den richtigen Weg zu finden zwischen einer möglichst einfachen, gut verständlichen Erklärung unserer Zahlen auf der einen Seite und der nötigen Genauigkeit und Komplexität auf der anderen, ist eine große Herausforderung. Hier gibt es noch viel Entwicklungspotenzial. Und als neutrale und unabhängige Behörde ist der Kampf gegen Desinformation oft eine Gratwanderung, da wir den Eindruck von Parteilichkeit in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen vermeiden müssen.

Das Statistische Bundesamt ist Teil des Europäischen Statistischen Systems – wie ist die Zusammenarbeit mit anderen Statistikämtern im Bereich Strategie, Forschung und Kommunikation? Gibt es Ansätze in anderen EU-Staaten, die Sie als Inspiration für den weiteren Kurs bei Destatis sehen?

Dr. Vorgrimler: Zunächst ist jeder Austausch mit anderen EU-Staaten eine Inspiration für die eigene Arbeit, da kann eigentlich kein EU-Staat besonders hervorgehoben werden. Das schöne ist, dass jedes Land seine Eigenheiten im positiven Sinne hat, seine spezifischen Stärken, von denen man sich etwas abschauen kann. So basiert beispielsweise die Einrichtung des Newsrooms im Statistischen Bundesamtes auf einem Besuch beim niederländischen Amt für Statistik, wo der niederländische Newsroom vorgestellt wurde. Dieses Voneinander-Lernen soll nun auf europäischer Ebene durch die Gründung eines European Innovation Networks institutionalisiert werden. Als designierter Vertreter des Statistischen Bundesamtes freue ich mich hier auf den Austausch mit den europäischen Kolleginnen und Kollegen. Am Ende des Tages wird für die Relevanz der amtlichen Statistik entscheidend sein, wie schnell wir in der amtlichen Statistik Innovationen implementieren können.

Vielen Dank für das Interview!