Presse Kinderschutz: Schulen und Kitas meldeten im Frühjahr 2020 deutlich weniger Fälle

Pressemitteilung Nr. 439 vom 17. September 2021

  • Schulen und Kitas meldeten 2020 zusammen über 19 000 Kinderschutzfälle
  • Im Frühjahr 2020 haben sich die von Schulen gemeldeten Fälle mehr als halbiert
  • Zeitgleich gingen auch die von Kitas gemeldeten Fälle um etwa ein Drittel zurück
  • 70 % aller von Schulen und Kitas gemeldeten Kinder waren jünger als 12 Jahre 

WIESBADEN – Im Corona-Jahr 2020 stellten die Jugendämter in Deutschland bei 60 551 Kindern und Jugendlichen eine Kindeswohlgefährdung fest. Bei weiteren 66 557 Minderjährigen kamen die Behörden zu dem Ergebnis, dass zwar keine Kindeswohlgefährdung, aber Hilfe- oder Unterstützungsbedarf vorlag. In 15 % oder 19 028 dieser insgesamt 127 108 Kinderschutzfälle kam der Hinweis von einer Schule oder Kindertagesstätte (einschließlich Kindertagespflege). Fachleute hatten vor dem ersten Corona-Lockdown im Jahr 2020 davor gewarnt, dass ein Teil der Kinderschutzfälle durch die vorübergehenden Schul- und Kitaschließungen unentdeckt bleiben könnte. Neue monatliche Ergebnisse des Statistischen Bundesamtes (Destatis) zeigen nun, dass die Meldungen von Schulen und Kitas im Frühjahr 2020 tatsächlich zeitweise stark zurückgegangen sind. 

„Insbesondere im April und Mai 2020 -also einen Monat nach den ersten coronabedingten Schulschließungen im März und April -lagen die von Schulen gemeldeten Kinderschutzfälle deutlich unter dem Vorjahresniveau“, sagt Manuela Nöthen, Expertin für Kinder- und Jugendhilfestatistik im Statistischen Bundesamt. „Zeitgleich nahmen auch die von Kitas gemeldeten Fälle ab, jedoch nicht so stark wie bei Schulen. Damit bestätigt die Statistik die Einschätzung verschiedener Fachleute, dass im Zuge des Lockdowns im Frühjahr 2020 weniger Kinderschutzfälle aus den Bildungs- und Betreuungseinrichtungen gemeldet wurden“, so Nöthen weiter. 

Schulen: Im April und Mai 2020 weniger als halb so viele Fälle wie im Vorjahr 

Den neuen Monatsergebnissen zufolge sank die Zahl der von Schulen gemeldeten Kinderschutzfälle von 1 476 im März 2020 auf 674 Fälle im April. Damit hat sich dieser Wert nicht nur gegenüber dem Vormonat, sondern auch im Vergleich zum April des Vorjahres (1 435 Fälle) mehr als halbiert. Im Mai 2020 stieg die Zahl der von Schulen gemeldeten Kinderschutzfälle wieder etwas an (729 Fälle), war aber weiterhin nur etwa halb so hoch wie im Mai des Vorjahres (1 433 Fälle). In den Sommermonaten Juni, Juli und August - in denen das Niveau ferienbedingt in der Regel niedriger ausfällt - näherten sich die Fallzahlen dann wieder den Vorjahreswerten an, blieben aber weiterhin unter deren Niveau. Erst im Herbst und Winter 2020 überschritt die Zahl der von Schulen gemeldeten Kinderschutzfälle dann die Fallzahlen von 2019.

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Auch Kitas meldeten im April und Mai 2020 weniger Fälle 

Auch die Kitas (einschließlich Kindertagespflege) haben den Jugendämtern im Frühjahr 2020 zeitweise deutlich weniger Kinderwohlgefährdungen und Fälle von Hilfe- oder Unterstützungsbedarf gemeldet. Im Vergleich zu den Schulen fiel der Rückgang jedoch schwächer aus: Während die Kitas im März 2020 noch 422 Kinderschutzfälle gemeldet haben, waren es im April nur 267. Sowohl gegenüber dem Vormonat, als auch im Vergleich zum April des Vorjahres (408 Fälle) lag der Wert damit um über ein Drittel niedriger. Im Mai fiel der Unterschied dann zwar etwas geringer aus (2019: 393 Fälle, 2020: 275 Fälle), war aber nach wie vor mit fast einem Drittel auffällig. Im Juni 2020 überschritten die Fallzahlen den Vorjahreswert dann deutlich.

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Insgesamt waren die betroffenen Kinder in 70 % aller von Kitas oder Schulen gemeldeten Kinderschutzfälle jünger als 12 Jahre. Besonders hoch waren die Anteile der Unter-12-Jährigen im April und Mai 2020 mit 75 % und 74 % (April und Mai 2019: jeweils 69 %). 

Bei anderen Hinweisgebern keine Auffälligkeiten nach dem ersten Lockdown

Die Rückgänge in der monatlichen Entwicklung bei Schulen und Kitas wirkten sich auch auf die Jahresergebnisse aus: Zwar war die Gesamtzahl der Kinderschutzfälle von 2019 auf 2020 um 11 % auf 127 108 gestiegen. Bei den Schulen verlief die Entwicklung durch die Besonderheiten im Frühjahr jedoch gegen den allgemeinen Trend: Hier gingen sie gegenüber 2019 um 3 % auf 14 477 zurück. Bei den Kitas war die Jahresentwicklung zwar nicht rückläufig, der Anstieg fiel aber nur etwa halb so hoch wie der Durchschnitt (+11 %) aus: Von 2019 auf 2020 nahmen die von Kitas gemeldeten Fälle um 6 % auf 4 551 zu.  

Bei anderen Hinweisgebern gab es beim Thema Kinderschutz im Zuge des ersten Lockdowns keinen Rückgang der Fallzahlen, so zum Beispiel bei Polizei, Gerichten und Staatsanwaltschaften: Im Jahr 2020 sind die von Polizei und Justiz gemeldeten Fälle mit +16 % überdurchschnittlich gestiegen (Durchschnitt: +11 %). Dabei bewegten sich die monatlich gemeldeten Kinderschutzfälle auf relativ hohem Niveau zwischen 2 253 (Februar) und 3 019 (Juli). Besondere Auffälligkeiten waren hier im Frühjahr nicht auszumachen. Ähnliches gilt für die von der Bevölkerung, also von Verwandten, Bekannten, Nachbarn oder anonym gemeldeten Fälle: Hier schwankten die monatlichen Meldungen zwar etwas stärker zwischen 1 904 (Februar) und 3 062 (Juli) Fällen, im Frühjahr gab es aber auch hier keine nennenswerten Rückgänge. Die Bevölkerung hatte 2020 rund 18 % mehr Kinderschutzfälle als 2019 gemeldet -und damit ebenfalls überdurchschnittlich viele.

Kinderschutzfälle 1 nach Meldemonat und Hinweisgeber
Anregende(r) der Maßnahme/HinweisgeberIns-
gesamt
 Gefährdungseinschätzung wurde abgeschlossen im…
Jan.Feb.Mrz.Apr.MaiJun.Jul.Aug.Sept.Okt.Nov.Dez
1: Fälle von Kindeswohlgefährdung sowie Fälle, bei denen zwar keine Kindeswohlgefährdung, aber Hilfe-/Unterstützungsbedarf festgestellt wurde.
2: Einschließlich der Fälle, bei denen nach Prüfung durch das Jugendamt im Rahmen einer Gefährdungseinschätzung (nach § 8a SGB VIII) weder eine Kindeswohlgefährdung, noch (weiterer) Hilfe-/Unterstützungsbedarf festgestellt wurde.
 2019
Kindeswohlgefährdungen u. Fälle von Hilfebedarf 1114 6339 1348 6479 0719 3579 6308 83311 1099 6719 3649 2159 77210 830
Anregende(r) der Maßnahme/Hinweis-geber
Verwandte, Bekannte, Nachbarn, anonym23 6191 7871 6831 7211 8331 9131 8372 5672 1792 2301 9721 9551 942
Polizei, Gericht, Staatsanwaltschaft26 6772 2201 8661 9262 0752 2261 9572 6062 5182 2812 2942 2242 484
Einrichtung, Dienst der Kinder- und Jugendhilfe, Erziehungshilfe/Beratungsstelle19 5261 5001 4791 5761 5691 5521 5231 8571 8271 5601 5051 6341 944
Schule14 9641 1631 3411 4351 4351 4331 1981 1646679601 1201 3671 681
Eltern(teile), Personensorgeberechtigte8 784705633650685748649842829687755710891
Hebamme, Arzt, Klinik, Gesundheitsamt u.ä.7 276605558603589565531706603610576635695
Kindertageseinrichtung, -pflegeperson4 278349308351408393352422289319284358445
Minderjährige/r selbst3 216278275286261284278271207237229325285
Sonstige6 293527504523502516508674552480480564463
Nachrichtlich:
Gefährdungseinschätzungen insgesamt 2173 02913 62912 94913 73414 16114 34213 38317 22715 13914 43514 09014 35415 586
 2020
Kindeswohlgefährdungen u. Fälle von Hilfebedarf 1127 10810 3549 74310 3829 2649 31010 70812 10310 45110 65011 08411 07511 984
Anregende(r) der Maßnahme/Hinweis-geber
Verwandte, Bekannte, Nachbarn, anonym27 9832 0621 9041 9092 0822 1682 4973 0622 8342 6082 3992 2602 198
Polizei, Gericht, Staatsanwaltschaft30 9032 4202 2532 3712 3002 3002 7033 0192 7132 5062 7642 7322 822
Einrichtung, Dienst der Kinder- und Jugendhilfe, Erziehungshilfe/Beratungsstelle21 5531 7121 6011 8181 8881 7131 7052 0031 7561 7101 7171 8182 112
Schule14 4771 4481 4921. 4766747291 0859586351 2071 3811 5321 860
Eltern(teile), Personensorgeberechtigte10 513760737875847900917978871867950866945
Hebamme, Arzt, Klinik, Gesundheitsamt u.ä.7 826664610671572604714723635621654662696
Kindertageseinrichtung, -pflegeperson4 551422415422267275419412304309369389548
Minderjährige/r selbst3 188324252273198210247285244300270305280
Sonstige6 114542479567436411421663459522580511523
Nachrichtlich:
Gefährdungseinschätzungen insgesamt 2194 47515 69414 66215 62913 82714 36216 69919 07516 51416 73317 00516 77417 501

Methodische Hinweise:

Grundlage der in der vorliegenden Pressemitteilung nachgewiesenen „Kinderschutzfälle“ sind sowohl alle Fälle von Kindeswohlgefährdung, als auch die Fälle, bei denen zwar keine Kindeswohlgefährdung, aber Hilfe- oder Unterstützungsbedarf festgestellt wurde. Zusammengenommen handelt es sich somit um all jene Fälle, die Aktivitäten des Jugendamtes zum Schutz von Kindern ausgelöst haben. Unberücksichtigt sind die ursprünglichen Verdachtsmeldungen, die durch die Prüfung des Jugendamtes im Rahmen einer Gefährdungseinschätzung (nach § 8a SGB VIII) nicht bestätigt wurden. 

Eine (akute oder latente) Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls eines Kindes droht oder bereits eingetreten ist. In Verdachtsfällen sind die Jugendämter verpflichtet, durch eine Gefährdungseinschätzung (§ 8a SGB VIII) das Gefährdungsrisiko und den Hilfebedarf abzuschätzen und einer Gefährdung entgegenzuwirken. Dazu zählen in der Regel auch ein Hausbesuch und die Erörterung der Problemsituation mit dem Kind und – sofern dies dem Kinderschutz dient – den Sorgeberechtigten. Im Zweifel kann der Kinderschutz auch gegen den Willen der Sorgeberechtigten durch ein Familiengericht durchgesetzt werden. 

Weitere Informationen:

Detaillierte Monatsergebnisse einer Sonderauswertung  für die Jahre 2015 bis 2020 zu den von Kindeswohlgefährdung betroffenen Minderjährigen können der Tabelle (Gefährdungseinschätzungen) entnommen werden. Ausführliche Jahresergebnisse der Statistik stehen in der Publikation „Gefährdungseinschätzungen“, in der Datenbank GENESIS-Online unter „Gefährdungseinschätzungen“ (Tabellen 22518) und in der Pressemitteilung Nr. 350 vom 21. Juli 2021 bereit. Weiterführende Ergebnisse zum Kinderschutz und Kindeswohl befinden sich auf der Themenseite.

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Kinder- und Jugendhilfe

Telefon: +49 611 75 8231

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